Wir, die Kolleg*innen von stuhlkreis_revolte – Kollektiv für emanzipatorische Bildungsarbeit und Prozessbegleitung, unterstützen den Aufruf der Mitarbeiter*innen und Honorarkräfte der Jugendbildungsstätte Konradshöhe, gegen die Schließung dieses Ortes des politischen Lebens zu kämpfen.
Wir unterstützen die Forderung danach, die Kündigung des Mietvertrages zumindest aufzuschieben, um mit allen Beteiligten über den Erhalt des Geländes zu diskutieren.
Die Gewerkschaft ver.di zeigt sich in ihrem öffentlichen Auftreten solidarisch mit Menschen in Arbeitskämpfen. Diese Haltung vermissen wir gegenüber der Jugendbildungsstätte Konradshöhe und den dortigen Mitarbeiter*innen. Für eine Organisation, die Solidarität als Grundpfeiler ihrer Arbeit betrachtet, ist dies enttäuschend. Das Gelände mit Havelblick höchstbietend an kapitalreiche Investoren zu verkaufen und damit einen Ort der politischen Bildung und Teilhabe zu zerstören, zeugt nicht gerade von einer stringenten Kapitalismuskritik der Gewerkschaft.
Im Zuge des Wachstums sozialer Ungleichheiten sorgt die Schließung der Jugendbildungsstätte dafür, dass Jugendliche aus abgeschiedenen Regionen einen Zugang zu außerschulischen Bildungsangeboten verlieren. Ver.di nimmt damit in Kauf, einen Ort abzuschaffen, an welchem sich Jugendliche kritisch mit ihrer (politischen) Entwicklung und der ihrer Lebenswelt auseinandersetzen.
In Zeiten eines erstarkenden Populismus von rechts, erscheint das geradewegs verwerflich. Gerade jetzt braucht es verlässliche Bildungsangebote und Lernorte zur Stärkung demokratischer Identität*en. Denn demokratische Identität*en sind nicht einfach gegeben, sondern stellen immer das Ergebnis von Konstruktionsleistungen dar. Sie sind ein lebendiger Ausdruck der Fähigkeit, unterschiedliche Erfahrungen, Rollen und Erlebnisse nicht auszublenden, sondern viel mehr auch ungelöste Widersprüche auszuhalten. Eine demokratische Gesellschaft braucht daher Lernorte, an denen eine Auseinandersetzung mit wesentlichen Werten der Gesellschaft möglich ist.
Eine Organisation wie Ver.di, die politische Partizipation fordern und fördern will, darf daher Lernorte außerschulischer Bildung als Orte der Auseinandersetzung nicht aus den Augen verlieren. Insbesondere da der Zugang zu Bildung innerhalb der sogenannten Wissensgesellschaft eine bedeutsame Scharnierfunktion einnimmt, wenn es darum geht, gesellschaftliche Teilhabe zu verwirklichen.
Gelungene Solidarität mit der Bildungsstätte zeichnet dabei jedoch nicht nur im Erhalt des Ortes aus, sondern auch im Umgang und der Bezahlung der Mitarbeiter*innen und freien Honorarkräfte. Als Kolleg*innen der letztgenannten möchten wir den Aufruf nicht vorbeiziehen lassen, ohne auf die prekäre finanzielle Situation der außerschulischen Bildungsarbeit hinzuweisen.
Die Honorare, oft „Aufwandsentschädigung“ genannt, decken weder entstehende Kosten für Teamende noch zeigen sie eine angemessene Wertschätzung der geleisteten Arbeit.
Freiberuflich Tätige haben Ausgaben zu tätigen, die meist nicht im Bewusstsein der Auftraggeber*innen verankert sind. Darunter fallen beispielsweise Sozialversicherungsbeiträge (Krankenkasse, Renten- und Pflegeversicherung, etc.), Steuern (inklusive in Honoraren oft nicht enthaltene Umsatzsteuer), Arbeitsmittel sowie Verbrauchsmaterial, Literatur und Fortbildungen, monetäre Rücklagen und Altersvorsorge, Vorsorge für Honorarausfälle (krankheitsbedingt und bei Entzug eines Auftrags) und die Versorgung weiterer Menschen (bspw. Kinder).
[Wir möchten hier auch den Protest erwähnen, der 2014 ebenfalls in der Bildungsstätte Konradshöhe stattfand. Schon damals haben freiberuflich Tätige die dortigen Arbeitsbedingungen angeprangert und sind in einen Streik getreten. Wir müssen nun feststellen: Geändert hat sich nichts. Schlimmer noch – jetzt droht sogar die Schließung. Die Beibehaltung schlechter Arbeitsbedingungen und das bereitwillige Arbeiten dort seitens des jetzigen betroffenen Teams haben also lediglich zu einem Aufschub und Verlagerung der Problematiken geführt. Wir appellieren deshalb daran, Proteste von Kolleg*innen zu unterstützen. Nur gemeinsam können wir als freiberuflich Tätige gegen Auftraggeber*innen und Träger*innen von Einrichtungen einen wirksamen Protest formulieren.
Wir erhoffen uns daher nicht nur den Erhalt der Bildungsstätte, sondern auch eine längst überfällige öffentliche Diskussion über die Arbeitsbedingungen von Menschen, die außerschulisch politische Bildung anbieten.
Eine gerechte Gesellschaft braucht eine breite und bunte Palette von Bildungs- und Lernorten, an denen Beteiligung und Vielfalt gelebt und gelernt werden können.